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Es ist einfach nicht wahr, dass
ich immer schon Lehrer werden wollte. Ich kann mich beim besten Willen
nicht erinnern, als kleiner Steppke jemals von meinen späteren
Berufsrollen "Lehrer an einer Sonderschule für Lernbehinderte" oder
"Hochschullehrer" geträumt zu haben. Mir geht scheinbar ab, was nach
individualpsychologischer Lehre einfach jedermann hat: eine
Lebensleitlinie.
Als bin als neuntes Kind einer bäuerlichen
Familie in einem emsländischen Dorf groß geworden. In der Volksschule
habe ich gleich im ersten Schuljahr die erste Fremdsprache Deutsch
gelernt. Meine Muttersprache, der "plattdütske Code", stand dem Erfolg
in der Schule nicht im Wege. Meine Lehrerin, ein Fräulein mit grauen
Haaren namens Steinke, hat es offenbar verstanden, uns Landkinder
bilingual zu unterrichten.
Die Kindertage in ländlicher Idylle nahmen ein
Ende, als in der Folge der "deutschen Bildungskatastrophe" (Georg Picht)
in der damaligen Bildungspolitik händeringend nach Begabungsreserven
gefahndet wurde, und diese wurden unter den katholischen Kindern auf dem
flachen Lande vermutet. Mit dem Besuch eines altsprachlichen Gymnasiums
in der entfernten Stadt Meppen war auch der Aufenthalt in einem Internat
verbunden. Im Internat wurde des Nachmittags viel Freizeitpädagogik und
Jugendarbeit gemacht, an denen ich rezeptiv wie produktiv beteiligt war.
Diese pädagogischen Urerfahrungen haben wohl dazu beigetragen, dass ich
nach dem Abitur mit der enttäuschenden Durchschnittsnote "befriedigend"
Lehrer werden wollte.
An der Pädagogischen Hochschule Vechta studierten
damals ganze 500 Leute - das sind nur wenig mehr Studenten als an der
Hamburger Universität bei mir Lernbehindertenpädagogik studiert haben.
Die im nachhinein bedeutsamste Erinnerung an das erste Lehrerstudium war
ein sechswöchiges Praktikum an einer einklassigen Landschule. Schade,
dass es damals noch keine Video gab. Ich wurde mir zu gerne noch einmal
anschauen, wie man mit so unterschiedlichen Kindern gleichzeitig
Unterricht machen kann.
Vier Jahre lang war ich Lehrer an einer
Hauptschule, das letzte war das schlimmste. 44 Kinder saßen vor mir,
lauter Jungen. Die Sehnsucht nach einer kleinen Klasse führte mich zur
Sonderschule für Lernbehinderte. Von nun an war ich Sonderpädagoge.
In den siebziger Jahren standen die Hochschulen
im Zeichen einer geistigen Erneuerung und eines quantitativen Ausbaus.
Mir trug das expandierende Hochschulwesen eine Stelle als
Sonderschullehrer im Hochschuldienst ein. Mit meiner Promotion 1977 ging
eine sechsjährige Tätigkeit als pädagogischer Praktiker zu Ende. Zu den
nachhaltigsten Erlebnissen in meiner Zeit als wissenschaftlicher
Assistent gehört ein Besuch der Laborschule Bielefeld; sie war für mich
ein Schlüsselerlebnis und hat an der Wiege meines pädagogischen Denkens
und Handelns gestanden. Hier habe ich zum ersten Mal mit eigenen Augen
gesehen, dass Schulen anders können. Seither bin ich viel auf Achse
gewesen. Auf Bildungsreisen nach Schweden, Italien, Dänemark, in die
Schweiz und aus Besuchen von Alternativschulen habe ich mehr gelernt als
aus vielen schlauen Büchern. Und auf diesen Reisen habe ich in Italien
und in Skandinavien zum ersten Mal mit eigenen Augen "Integration"
gesehen.
Die wissenschaftliche Laufbahn führte mich von
Dortmund über die Universität Köln schließlich nach Hamburg. Seit 1980
war ich dann in Hamburg für Lehre und Forschung in der Fachrichtung
Lernbehindertenpädagogik zuständig. 1996 erhielt ich erneut eine
Berufung an die Universität Hamburg auf einen Lehrstuhl für
Lernbehindertenpädagogik, dieses Mal jedoch mit einem bedeutsamen
Zusatz: "unter Einbezug integrativer Erziehung"!
In Hamburg habe ich die beiden Schulversuche
"Integrationsklassen" und "Integrative Regelklassen" mitinitiiert und
wissenschaftlich begleitet. Was ich heute über "Integration" und
"Inklusion" weiß, habe ich vor allem durch persönliches Dabeisein,
aktives Mitmachen und eigene Erfahrungen gelernt.
Zeitgleich mit meiner Emeritierung erschien die
"Behindertenrechtskonvention" der Vereinten Nationen. Es ist ein
wunderbares Gefühl, am Ende eines langen beruflichen Weges durch
eine internationale Erklärung die Bestätigung zu erfahren, dass das
Engagement für Integration und Inklusion richtig und sinnvoll war.
Seit meiner Emeritierung bin ich deutschlandweit
als "Botschafter der Inklusion" unterwegs und wurde in die deutsche
UNESCO-Kommission "Inklusion" berufen. |